Getrennt leben, gemeinsam erziehen?
Heute möchte ich gerne meine Erfahrungen mit dem Nestmodell nach der Trennung mit euch teilen. Falls du gerade in einer Trennungssituation bist und nach Alternativen zum üblichen Residenzmodell (Kinder bleiben bei einem der Elternteile) suchst, kann dir dieser Beitrag etwas weiterhelfen. Nach dem Residenzmodell wird das Wechselmodell in Deutschland immer beliebter. Hier wechseln die Kinder meist wöchentlich zwischen den Eltern. Das Nestmodell ist noch nicht so weit verbreitet, bietet aber meines Erachtens für die Kinder die größte Stabilität.
Es ist jetzt 8 Jahre her, dass ich mich von meinem 1. Mann getrennt habe, nach über 17 Jahren Beziehung. Das war 2012 im Frühling. Unsere 3 Söhne waren damals 10, 12 und 14 Jahre alt. Meine Nerven lagen blank. Ich war hin und hergerissen zwischen der Liebe zu meinem neuen Partner und dem furchtbar schlechten Gewissen meinen Söhnen und meinem Noch-Ehemann gegenüber.
Bei all der Trauer um unsere Familie war meinem Ex Mann und mir klar, dass wir die Trennung für die Kinder so schonend wie möglich bewerkstelligen wollten.
Im ersten Jahr blieben wir beide noch gemeinsam in unserem Haus wohnen. Geburtstage und Feiertage verbrachten wir wie immer zusammen und schafften es auch gut neben den Kindern nicht zu streiten. Und ich konnte fast an jedem 2. Wochenende meinen Freund besuchen.
So haben wir das Nestmodell umgesetzt
Nach einem knappen Jahr ergab sich für uns die Möglichkeit das Nestmodell auszuprobieren. Nestmodell bedeutet, dass die Kinder in ihrem gewohnten Zuhause bleiben und die Eltern abwechselnd woanders wohnen. Meist pendeln die Eltern im Wochenwechsel und teilen sich die Ferien 50/50 auf. Das funktioniert natürlich nur, wenn eine Kommunikation zwischen dem Ex Paar möglich ist.
In unserem Fall hatten wir das große Glück, dass meine Eltern in unserem Wohnort eine 2-Zimmer Wohnung als Kapitalanlage besaßen und vermieteten. Just zum richtigen Zeitpunkt zog die Mieterin aus und mein damaliger Mann konnte einziehen.
Ich habe in meinen “freien” Wochen bei meinem Freund in seiner Wohnung mit gewohnt.
Der richtige Wohnraum ist vermutlich für viele getrennte Paare der Knackpunkt. Schließlich sollten 3 Wohnungen zur Verfügung stehen. Manchmal, wenn die Ex Partner wieder neue Beziehungen eingehen, können sie in ihren freien Wochen bei den neuen Partnern leben, so wie ich es gemacht habe. Das ist dann natürlich einfacher.
Eine Freundin von mir setzte das Nestmodell so um, dass sie und ihr Ex Mann eine gemeinsame kleine möblierte Mietwohnung abwechselnd in ihren jeweils freien Wochen nutzten. Das wiederum stelle ich mir schwierig vor, da man so nach wie vor sehr viel Nähe zu seinem Ex hat schon allein durch Gerüche, Kleidung und alles was in den Wohnung vom Ex Partner so rumsteht. Bei meiner Freundin ging es aus eben diesen Gründen auch nicht lange gut und führte letztlich auch zu noch mehr Streit.
Wenn man das klassische Residenzmodel wählt, müsst ihr bedenken, dass die getrennten Partner beide ausreichend Wohnraum für die Kinderbesuche brauchen. Beim Nestmodell erübrigt sich das, da die Kinder ohnehin im ehemaligen Familien Zuhause bleiben. Es reicht eine wirklich kleine Wohnung für die Ausweichwochen.
Einer von uns beiden war immer im Wochenwechsel bei den Kindern im Haus. Sonntag abends hatten wir als Wechseltermin vereinbart. Für die Kinder war im Nachhinein dieses Modell sicherlich sehr von Vorteil und sie hatten sich schnell daran gewöhnt.
Hier habe ich dir eine Übersicht erstellt, die dir eine Entscheidung leichter machen soll.
Kinder und das Nestmodell – die Vorteile:
- Es liegt auf der Hand, die Kinder können in ihrem gewohnten Umfeld bleiben. Für sie ändert sich vom sozialen Gefüge her kaum etwas. Das bringt in dieser aufwühlenden Zeit eine große Stabilität.
- Die Kinder müssen nicht die Schule/Kindergarten und Freizeitaktivitäten (Sportverein, Musikschule etc) wechseln.
- Sie kennen sich in ihrer Umgebung aus, fühlen sich wohl und brauchen dadurch weniger Unterstützung als wenn sie ein neues Umfeld erkunden müssten.
- Die Kinder sehen beide Elternteile gleich häufig.
- Etablierte Kinderbetreuung durch Babysitter oder Nachbarn kann einfach weiter bestehen bleiben
Kinder und das Nestmodell: die Nachteile
- Je nach Beziehung der Eltern, können Spannungen entstehen.
- Durch unterschiedliche Erziehungsstile, die Eltern oft haben, kann es bei den Kindern zu Unsicherheiten kommen. Vor allem, wenn sie noch jünger sind.
- Die Kinder wissen oft nicht mehr, welchem Elternteil sie was erzählt haben, was wiederum zu Missverständnissen führen kann.
Vorteile für die Eltern:
- Keines der Elternteile muss auf die Zeit mit den Kindern verzichten und eifersüchtig sein, dass der Ex Partner mehr Zeit mit den Kindern verbringt.
- Absprachen wegen Wochenenden etc. entfallen weitgehend.
- In der “freien” Woche kann man auch mal durchatmen und die Zeit für sich, den Beruf und soziale Kontakte nutzen.
- Der organisatorische Aufwand ist bedeutend geringer.
Nachteile für die Eltern:
- Am Schwierigsten ist vermutlich die passende Wohnungssuche, vor allem aus finanzieller Sicht. Wir hatten großes Glück mit der Wohnung meiner Eltern, die nur 5 min fußläufig entfernt ist. Aber wie gesagt, die Elternwohnungen müssen nicht groß sein.
- Das Leben aus dem Koffer kann manchmal ganz schön anstrengend sein. Irgendwann habe ich aufgehört, jede Woche den Koffer komplett auszuräumen und so hat sich das Gefühl noch verstärkt nirgends richtig zu Hause zu sein…
- Wann immer man im ehemaligen Familien Zuhause ist, wird einem von Neuem bewusst, was man verloren hat. Das fand ich besonders traurig und hilft natürlich nur bedingt beim Verarbeiten der Trennung.
- Es ist schwer einen Abschluss der ehemaligen Beziehung zu finden, wenn man wöchentlich von den Gegenständen und Gerüchen des Ex Partners umgeben ist. Dieser Punkt ist mir im Laufe der Zeit immer schwerer gefallen. Schließlich gab es Gründe, warum ich mich getrennt hatte.
- Manchmal bekommt man Absprachen, die die Kinder getroffen haben nicht mit oder versäumt schulische Themen.
- Am Tag des Wochenwechsels muss immer alles auf Vordermann gebracht werden.
- Besonders knifflig kann das Unterhaltsthema werden. Da ganz genau, am besten von einer Fachanwältin für Familienrecht ausrechnen lassen, wer was, bezahlt und wie gerade auch die Kosten der Immobilien verteilt werden sollen. Ich kann wirklich nur empfehlen Fachleute zu Rate zu ziehen und das Thema einmal richtig klären zu lassen. Sonst führt das leidige Geldthema ständig zu Diskussionen und womöglich dem Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein.
Für mich war gerade der Punkt mit der wöchentlichen Konfrontation mit den Sachen meines Ex Mannes irgendwann ein Problem, so dass ich schließlich 3 Jahren nach unserer Trennung aus unserem Haus ausgezogen bin. Mein heutiger Mann Michael und ich hatten eine tolle Wohnung gefunden, in die mein jüngster Sohn mit uns eingezogen ist. Die großen Söhne waren damals 15 und 17 Jahre alt und sind bei ihrem Vater im Haus geblieben.
Anfangs war das furchtbar schwer für mich, die Kinder nicht mehr täglich um mich zu haben und hauptsächlich an jedem 2. Wochenende und in den Ferien zu sehen. Das Haus ist ca. 15 min von uns entfernt (8 km aber durch die Stadt..) so, dass es auch außerhalb der Wochenenden theoretisch immer möglich war, die Kinder zu sehen. Arztbesuche etc. habe ich weiterhin mit den Jungs erledigt und mein mittlerer Sohn kam zusätzlich für eine Übernachtung unter der Woche zu uns.
Mein Fazit
Zusammenfassend würde ich das Nestmodell auch heute wieder machen. Nur würde ich versuchen länger durchzuhalten und meinen Ex Mann dazu zu bewegen im Anschluss aus unserem Haus auszuziehen 🙂
Für die Kinder war es gut, dass nach unserer Trennung ihr gewohntes Leben nicht gleich zerbrochen ist. So hatten sie 3 Jahre Zeit sich an die neue Situation zu gewöhnen. Wenn ich sie heute frage, wie die Zeit für sie war, finden sie es gut und richtig, dass sie in ihrem Umfeld bleiben konnten. Mit unserer Trennung scheinen sie kein Problem mehr zu haben, was aber sicherlich mittlerweile an ihrem Alter liegt.
Mir ist aber bewusst, dass dieser Weg für viele getrennte Paare nicht möglich und gewollt ist. Für diejenigen, die sich gerne die Kinderbetreuung “fair” aufteilen wollen, finde ich das Nestmodell aber großartig und vor allem für die Kinder am wenigstens anstrengend.
Egal für welchen Weg du dich entscheidest, wenn die Kinder gut mit einbezogen werden und die Eltern immer ihr Wohl im Blick haben, sind sicher viele Wege möglich! Welche Erfahrungen hast du gemacht? Schreib es mir gerne in die Kommentare.
7 Comments
Liebe Manina,
frohes neues Jahr! Seit fast drei Jahren leben wir auch im Netzmodell. Mit der zusätzlichen Herausforderung, dass wir getrennten Eltern beide neue Partern*innen gefunden haben (toll) – aber in unterschiedlichen Städten. Das Nest steht also in Stadt A, der neue Partner meiner Ex-Frau lebt in Stadt B (600km) und meine neue Partnerin in Stadt C (80km). Der logistische Aufwand ist also enorm. Und gleichzeitig ist völlig unklar, zu welcher Form des Patchworks wir kommen könnten, wenn das Nets nicht länger lebbar ist. Daher bin ich an einem Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen interessiert. Und würde auch gerne Kontakt mit Forschungseinrichtungen aufnehmen, die sich mit dem Thema beschäftigen (um ggf. etwas beizutragen und auch um zu lernen). Hast Du einen Tipp, wohin ich mich wenden kann?
Herzlichen Dank und schönen Gruß
Lars
Halli hallo.
Danke, dass du deine Erfahrungen mit uns geteilt hast. Ich finde das großartig. Mich als Papa interessiert noch, wie ist die frage des Unterhalts geklärt? Ich möchte einfach nur das Beste für die Kinder aber der finanzielle Aspekt spielt natürlich auch eine Rolle.
Liebe Grüße
Martin
Hallo Martin, danke für dein Kommentar. Es freut mich zu lesen, dass du und deine Partnerin das Nestmodell in Erwägung zieht. Die Unterhaltsthematik ist sicherlich einer der schwierigsten Teile einer Trennung und besonders im Nestmodell nicht einfach zu meistern. Wir haben das Thema so gelöst, dass ich auf meinen Ehegattinnen Unterhalt verzichtet habe und mein damaliger Mann in der kleinen Eigentumswohnung, die er in seinen solo Wochen bewohnt hatte, nur die Nebenkosten bezahlt hat, da die Wohnung meiner Familie gehört.
Da er ein viel höheres Einkommen hatte, hat er weiterhin die Haus- und Schulkosten der Kinder getragen. Lebensmittel etc. wurden vom jeweiligen Elternteil während der Zeit im Haus getragen. Ich habe ihm einen monatlichen Betrag anteilig meines Einkommens als Beitrag für die Fixkosten überwiesen. Final haben wir die Unterhaltsfrage erst mit der Scheidung ein paar Jahre später geklärt, da es uns wichtig war, dass die Kinder auch finanziell keine Nachteile hatten.
Ich wünsche deiner Familie viel Glück und drücke euch die Daumen, dass ihr zu einer Lösung kommt, mit der alle Beteiligten zufrieden sein können. Ganz liebe Grüße, Manina
Liebe Manina, liebe Antje! Gut, dass ich auf diese Seite gestoßen bin, denn auch wir haben uns für das Nestmodell entschieden…allerdings stehe ich ganz am Anfang und habe gerade die erste Zeit ohne meine Kinder verbracht. Es war wie eine Amputation ohne Narkose. Ich habe mich in der ersten Nacht schrecklich gefühlt, und die Schuldgefühle haben richtig an mir genagt…trotzdem spüre ich, dass es für mich der einzig richtige Weg ist, um meinen Kindern Stabilität zu geben. Alles Gute!!
Liebe Nele, deine Gefühle kenne ich nur zu gut! Das schlechte Gewissen den Kindern gegenüber und die Leere die man spürt. Ich habe mich wie eine Verräterin gefühlt den Kindern gegenüber und auch lange mit meinen eigenen Vorstellungen eines glücklichen Familienlebens gehadert. Auch jetzt noch nach all den Jahren und mittlerweile erwachsenen Kindern nagt in mir manchmal noch der Dorn des schlechten Gewissens. Wann immer etwas im Leben meiner Söhne nicht ganz so glatt läuft, frage ich mich, ob es mit meiner Entscheidung von damals zu tun hat. Aber wie du schon schreibst, wenn man spürt, dass es für einen selbst der einzige Weg ist, dann muss man ihn auch gehen. Alles Andere macht auch niemanden glücklich. Meine Jungs behaupten jedenfalls, dass es für sie unter den Umständen die beste Lösung war. Viel Kraft dir und alles Gute!
Liebe Manina, ich freue mich immer wieder, wenn ich irgendwo Infos zum Nestmodell finde! Ich habe 3 Töchter und wir seit 9 Monaten getrennt und praktizieren das Nestmodell. Es läuft sehr gut wie wir beide finden. Es gibt keine neuen Partner, was es vielleicht noch etwas einfacher macht bisher. Die Kids sind zwischen 5 und 13.
Ich finde superselten etwas zum Thema oder Möglichkeiten zum Austausch. Ich kenne selbst auch niemanden, wo das Nestmodell mit 3 Wohnungen umgesetzt wird. Bei uns hat die Trenningsberatung gut geholfen.
Liebe Antje, es freut mich sehr zu hören, dass bei euch das Nestmodell auch so gut funktioniert. Und es stimmt, ich finde es auch schade, dass man darüber so selten etwas liest. Wäre das Nestmodell bekannter, würden es womöglich auch mehr Familien praktizieren und vor allem die Kinder davon profitieren. Ich habe damals von meiner Anwältin davon erfahren und durch die extra Wohnung war es für uns einfacher umzusetzen. Ich wünsche euch allen, dass es weiterhin so gut klappt und die Zeit nicht zu nervenaufreibend ist!
Ganz lieben Gruß, Manina